Lernen mit Christian Wulff


10. Januar 2012

 

Harriet Modler

Er ist Mensch, also will und kann er bleiben. Vorerst! Die sich ausweitende Posse im Detail betrachtet, bietet ausreichend existentiellen Lernstoff: Wir wissen jetzt, dass unser Bundespräsident ein Mensch ist. Wer hätte so etwas vorher vermuten können? Aber das ist längst nicht alles, denn wir lernen in diesen Tagen so viel mehr. Beispielweise über Menschenrechte, die ansonsten nur im Ausland angemahnt werden. Oder: Auszubildende gibt es nicht nur im Friseurgeschäft um die Ecke, nein, ein Azubi gibt es auch im Bundespräsidialamt! Vielleicht gibt es auch bald eine Casting-Show für dieses Amt. Deutschland ist reif dafür! So lange reicht ein ›Präsident auf Probe‹ mit staatstragender Verantwortung, der sich um Erkenntnisgewinn bemüht, insbesondere die Frage hinsichtlich des bedeutsamen Unterschieds zwischen Verschiebung und Verhinderung scheint seine Gesellenprüfung zu werden.

 

Und der Lernprozess geht weiter, weil wir endlich mehr über Freunde erfahren. Freunde — das sind wirklich nette Menschen, die immer da sind, wenn sie gebraucht werden. Es gibt alte und neue Freunde, und es gibt Freunde, die ›plötzlich‹ und ›bedingungslos‹ helfen. Das kennt doch jeder von uns: Freundschaften sind Vitamin B. Die ›richtigen‹ Freunde tauchen ohnehin immer genau da auf, wo das Wasser am wärmsten ist. Die gemeinsamen Interessen sind rein zufällig und völlig unvorhersehbar! Das ist phänomenal so ein freundschaftlicher Konsens, danke Herr Wulff, dass ich in einem Land leben darf, wo Freundschaften sich im Nehmen und Geben ausgleichen!

 

Das Thema Freundschaft ist überhaupt derzeit wahnsinnig spannend, weil, ja weil, die freundschaftliche Beziehung zwischen Friede und Angela kriseln könnte. Ob die BILD und Merkel weiterhin freundschaftliche Gefühle verbinden werden, steht in den Sternen. Apropos ›Sterne‹ – war das nicht ein Bild für die Götter, als die Sternensänger bei der Bundeskanzlerin gastierten und sie völlig neben sich stand. Dieser Anblick war köstlich. Sie wird Freunde brauchen, gute Freunde, wenn sie bei ihrer (bisher) bewährten Taktik bleibt. Aber die Deutschen wissen, dass ›Bedürftigen‹ in diesem Land immer geholfen wird.

 

So wie den Menschen, die einen Kredit benötigen. Deshalb lernen wir jetzt auch einiges über das Kreditwesen und wie ein Kredit besorgt werden kann. Erkennen können Sie Banken an den schönen Fassaden in den besten Lagen Ihrer Stadt. Wiederum einige von ihnen sind Top-Banken, die ihr Geld wundersam verwandeln und vermehren können. Wie funktioniert das? Die Banken haben u.a. Top-Kunden, die preiswert ›einkaufen‹ möchten. Das kann nicht jeder, aber die die einen noch größeren Deal aus der Tasche zaubern, landen nicht beim Bankberater, sondern gleich beim Vorstand — selbstverständlich und GERADLINIG wird das heute genannt! Die ›anderen‹ Kunden dürfen die üblichen Konditionen zahlen, damit wenigstens das Buchgeld in der Bilanz stimmt. Der oben erwähnte Deal sollte übrigens einen geldwerten Vorteil versprechen.

 

Wenn Sie nun nicht im Aufsichtsrat von VW sitzen und damit als Landeschef oder Landeschefin über 20 % des Aktienvolumens befinden können, dann sollten Sie aber mindestens 6-stellige Umsätze verbuchen oder eben etwas Vergleichbares aufweisen. Erfolgsversprechend wäre, eine einzigartige Position (Aufsichtsrat bei VW), die gleichzeitig in eine komfortable Situation mündet, insoweit die es ermöglicht für den Haupteigner Kreditschleusen (LBBW/BW-Bank) zu öffnen. Deckt sich das nun nicht mit Ihren Erfahrungen, dann geht es Ihnen wie vielen anderen auch. Trösten Sie sich, Sie sind damit nicht allein. Es könnte einfach nur sein, dass Ihnen die entsprechenden ›Freunde‹ fehlen.

 

Der Bundespräsident gibt auch einen praktischen Tipp weiter, der sehr nützlich ist: Ein Anrufbeantworter ist ein Speichermedium, das wiederholt abgespielt werden kann. Genial wie leicht Kommunikation ist. Der Bundespräsident kann vor Freude darüber, richtig wütend werden!

 

Ferner werden wir in einem Exkurs namens Klartext in Sachen Kriegsführung unterrichtet. Spätestens jetzt fühlt sich die Bundeswehr angesprochen, die bekanntermaßen ein neues Übungsgebiet sucht, sobald der Abzug aus Afghanistan vollzogen ist.

 

Das ist eine passende Überleitung zum nächsten Thema, das Krisenkommunikation heißt und Worte mit und ohne Wahrheitsgehalt verbindet. Ist das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen, dann muss es gerettet werden und danach folgt die Wiederbelebung. Der Gedanke an die Vermeidung eines Unfalls ist im Moment seiner Entstehund deplatziert. Demzufolge sollte eine Wiederbelebung umgehend vorgenommen werden, ansonsten droht der Exitus. Das Mogeln mit absoluter oder relativer Wahrheit ist die denkbar schlechteste Lösung. Anmerkung: Die vierte Dimension, also die der Zeit, ist zwar relativ, aber für Kinder in Brunnen oder für Bundespräsidenten in der Lehre ist sie die wichtigste Komponente, die beachtet werden muss, um zu überleben. Daher ist konsequentes Handeln die bessere Strategie.

 

Grundsätzlich ist die Wortwahl mit der Intelligenz und dem Charakter eines Menschen verknüpft. Menschen, die sich öffentlich präsentieren, wissen sehr wohl um die Wirkung ihres Sprachduktus. Auf die bildungsferne Masse kann er spekulieren oder die Gnade des Volkes erbetteln, er kann auch auf viele Bundesbürger hoffen, die kleine Betrügereien für akzeptabel halten, wenngleich diese kleingeistige Haltung mit langfristigen Folgen verbunden ist. Vorteilsnahme im Amt ist kein Kavaliersdelikt. Eine aktuelle repräsentative Umfrage (infas vom 09.01.2012), ob der Bundespräsident zurücktreten sollte, teilt Deutschland in genau zwei Lager, die mit jeweils 46 % sowohl dafür als auch dagegen sind. Schlauer sind wir nun nicht geworden, aber wer will das schon?

 

Fazit: Wir haben der Bildung genüge getan und in einem Jahr, so Wulff, haben wir das alles wieder vergessen…