Geiz und Gefälligkeiten


19. Dezember 2011

 

Harriet Modler

Formaljuristisch sind Geiz und Gier nicht strafbar. Würde die Gerichtsbarkeit hierzu Paragraphen bemühen, hätten Gerichtsreporter wesentlich mehr zu tun. Zudem würden wir keine Terrordateien fordern, sondern Vorstrafenregister führen. Das Gericht wäre ein Bürgeramt und der Bürger überfordert.

 

Nein, der Bürger ist auch ohne die dauernden politischen Peinlichkeiten gefordert, mit und ohne Stresstests und Krisen auf allen Ebenen. Nach dem Stresstest — das Wort des Jahres 2011 — könnte die ›Halbwahrheit‹ salonfähig werden. Mit guten Freunden ist alles einfacher. Aber gut geht es nur dem, der die ›richtigen‹ hat, so wie Bundespräsident Wulff. Bisher wirkte er etwas bieder, sehr geschmeidig, aktuell eher naiv, aber immer dem Menschen nah. Mit seiner Kreditbeschaffungsmaßnahme demonstriert er unterhaltsame Lebensnähe. Hätte wenigstens jeder Bürger so eine Art Konto, mit dem er nach Belieben zwischen Wahrheiten und deren Hälften jonglieren kann. Begnügen wir uns mit der Gewissheit, dass ein bisschen Wahrheit in der philosophischen Vokabel selbst verborgen ist — jedem also seine Wahrheit.

 

Menschen, die mit Amt und Würde verschmelzen können, scheinen auszusterben. Wo sind sie geblieben, die ›weißen Westen‹ ohne Tadel, mit Charakter, gelobt und geliebt, die unantastbar ihr Werk vollenden können? Menschen, die sich den Mantel der Verantwortung überziehen (lassen), sollten doch wenigstens die Intelligenz besitzen, legale Geldgeschäfte abzuwickeln.

 

Sachlich betrachtet stellen sich eigentlich nur zwei Fragen. Der erste Gedanke: Warum sieht sich Wulff gerade jetzt mit seiner Vergangenheit als Ministerpräsident konfrontiert? Er, der es gediegen und gefällig an die präsidiale Spitze des Staates geschafft hat. Hinter der Geschichte steckt meist eine bedeutendere Geschichte. Und Geschichten werden gern erzählt — wir warten also auf die Fortsetzung einer allseits zufriedenstellenden Inszenierung aus der meinungsbildenden BILD. Das treue sowie gefügige Blatt der Union scheint ihr Wohlwollen nicht mehr jedem Christdemokraten zu schenken, wodurch sich die parlamentarische Erinnerungslücke gerade zur Unzeit verflüchtigt. Wie vieles im Leben, geht manches daneben. Insbesondere dann, wenn ein Plan keiner ist und Verträge zu mehrdeutigen Interpretationen anregen. Wie sagt der Volksmund: Beim Geld hört die Freundschaft auf!

 

Dieser Umstand führt direkt zur zweiten Frage: Warum hat Wulf nicht gleich eine Bank bemüht? Auch ein ganz normaler Bankkunde weiß, dass Darlehen umgeschuldet und dem jeweiligen Zinsniveau angepasst werden können. Nur Kleingeister lassen sich derart motivieren — ihr Antrieb ist der Geiz. Der Geschmack dieser süß-sauren Weihnachtsgeschichte erhält durch die Kontoverfügung des Unternehmerpaares noch eine besondere Note. Viel Fantasie ist eigentlich nicht nötig, um zu erkennen, wie einfach Geld gewaschen werden kann. Das Konto der Ehefrau, wie einfallsreich, aber bitte selbstverständlich mit eigener Vollmacht und alles bleibt in der Familie. Wenn dann ein Ministerpräsident in ›Nöten‹ ist, weil seine Einnahmen keine großen Sprünge zulassen, ja dann, kann ein Unternehmer von Rang zeigen was er kann. Ein wiederum sehr verbreitetes wie wahres Sprichwort sagt: Zeige mir deine Freunde und ich sage dir wer du bist. Es gibt Menschen, die könnten noch so vermögend sein, aber nichts würde mich dazu anregen, sie zu meinen Freunden zählen zu wollen!

 

Mittlerweile stellt sich nicht mehr die Frage nach der Glaubwürdigkeit, die ist und bleibt beschädigt. Es ist schlichtweg einfach die Maßlosigkeit, die sich breit entfalten kann. Wir, der Staat und seine Bürger, sind gerade dabei, neue gesellschaftliche Normen aufzustellen. Die Akzeptanz von gewohnheitsmäßiger Korruption wird als Normalität begriffen. Weder die Regierung, noch die Opposition, auch nicht die Medien oder relevante Institutionen rufen den Rückzug Wulffs aus. Dennoch sind offensichtlich hinter den Kulissen Akteure am Werk, die die Regierung schwächen (wollen) und hoffentlich können. Denn das eigentliche Ziel ist Merkel, die gerade noch die FDP im Boot halten konnte. Nebenbei bemerkt, bezüglich der FDP sind alle Rettungsringe ausgeworfen — das gelbe Boot ist schon längst gekentert.

 

Die Politik (ver)spielt ihre letzten Karten. Der Stresstest ist im Kanzleramt angekommen. Die geistigen Horizonte der Staatsbediensteten — das sind Menschen, die vom Steuerzahler finanziert werden — lassen hohe fachliche und lebensrelevante Defizite erkennen. Die Aktion einer Kreditaufnahme ist beispielsweise ein Umstand, den viele Menschen aus dem Alltag kennen und trotzdem morgens in den Spiegel sehen können. Und: Wie weit muss ein Mensch und ehemaliger Ministerpräsident sinken, wenn er sich genötigt sieht, Urlaubseinladungen zu veröffentlichen, also Geschenke, die sich von Amts wegen verbieten. Damit genug vom Unvorstellbaren, weil bereits das Vorstellbare unglaublich ist!

 

Willkommen in der Realität, die den politischen IST-Zustand beschreibt: Unfähigkeit ist der Unwille, Erkenntnis zu erlangen. Ob wir jetzt, vor Weihnachten, mit Überraschungen konfrontiert werden? Eine Prognose wage ich nicht, schließlich erwartet uns das Jahr 2012.

 

Der Tag ›fünf‹ vor Weihnachten: Die Ansprache des Bundespräsidenten wird wahrscheinlich in diesen Tagen auf die neue Situation zugeschnitten. Das kann, bei aller Fröhlichkeit und Vorfreude auf das Fest, zur Besinnung führen. Das wäre ein echter Wunsch. Schöne Weihnachten, Herr Wulff!