Spar-Paket oder der Wandel des Sparens


28. Oktober 2010

 

Harriet Modler

Noch vor einigen Jahren stand das ›Paket‹ für Überraschungen, meist für ein Geschenk oder für etwas, das in guter Absicht ›bestellt‹ wurde. Heute werden Pakete immer noch geschnürt, ihr Inhalt hingegen reicht von Mogelpackung bis zu dem Wunsch nach Umtausch. Die ›Heilig-Abend-Stimmung‹ wird zum Dauerzustand. Nicht jedes ›Ding‹ wird seinem Namen gerecht, bei uns Menschen ist das anders. Wer leidenschaftlich und begeisterungsfähig ist, kann hier und da ein Auge zudrücken. Wir vertrauen auf das Wort vielseitiger ›Experten‹, weil wir glauben weniger zu wissen, geben uns dennoch der Hoffnung, die bekanntlich zuletzt stirbt, hin, hegen weiter Ehrfurcht vor der Hochfinanz und tun das, was seit jeher den Deutschen angedichtet wird: Wir sparen!

 

Die Spareinlagen der deutschen Banken und Kreditinstitute verzeichneten im Jahr 2009 ein Sparvolumen von 604.111 Millionen Euro (2008: 544.121 Millionen Euro). Für 82 Millionen Bundesbürger hieße das: Jeder von Ihnen verfügt im Durchschnitt über Spareinlagen von rund 7.367 Euro. Vermutlich weicht Ihr Anlagevermögen, das Sie einem hiesigen Geldinstitut anvertraut haben, davon mehr oder weniger drastisch nach oben oder unten ab. Ihr erster Gedanke: Meinen Nachbarn geht es gut, erst recht, insoweit Sie zu den Letzteren gehören.

 

Eine weitaus prekärere Summe bricht ebenfalls Rekorde — die der Verschuldung. Gelegentlich wird sie in der politischen Debatte erwähnt: 1,7 Billionen Euro. Dieser Betrag löst dermaßen surrealistische Gefühle aus, obwohl die Sprache in ›Milliarden‹ heute gewohnheitsmäßig zum Alltag gehört. Auch die moderne Generation der Taschenrechner versagt, weil die Eingabe der zwölf Nullen schlichtweg nicht möglich ist. Die fehlende naturwissenschaftliche Kompetenz des ›normalen‹ Bürgers ist für die Politik ein Glücksfall. Wenn sie der Potenzrechnung mächtig wäre, hätte sie ein reales Verständnis von der riesigen Geldmenge, die jetzt schon wieder munter in die ›Parkhäuser‹ der Finanzjongleure wandert und dem Wirtschaftskreislauf entzogen wird.

 

Diese Art von Sparen kann derweil als ›passiver Aktionismus‹ bezeichnet werden. Ein Schieben gigantischer Geldmengen rund um den Globus, von jenen Aktionären, die auf das sogenannte Insider-Wissen zurückgreifen können, liegt jenseits der Vorstellungskraft auch derer, die sich in der höheren Mathematik präzise auskennen. Eine monströs anmutende Geldmenge befindet sich im SOLL großer Industrienationen. Das ist eine der wenigen Erkenntnisse, die der letzte G20-Gipfel in Toronto ›hervorgezaubert‹ hat. Es ist davon auszugehen, dass die Gläubiger bekannt sind, nicht allen, denn das steht nur dem Kreis der Eingeweihten zu. Zweifelsohne haben jene Staaten, durch begabte Köpfe, in der Vergangenheit außerordentlichen ›Innovationsgeist‹ bewiesen.

 

Das Leben der Menschen wird sich — weltweit — mit höchster Sicherheit auch weiterhin immens verändern. Nun, Leben ist Veränderung, das muss zwangsläufig und im Grundsatz nicht schlecht sein. Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft hingegen legt die Vermutung nahe, dass die vielen heißen Eisen, sprich Krisen, eine Art Unruhe zwischen und innerhalb der Schichten produziert. Demgegenüber sind die vielen unausgegorenen Bewältigungsstrategien bestenfalls Makulatur. Klare Konzepte über eine Legislaturperiode hinaus, scheitern am Gerangel persönlicher Besitzstandswahrung. Noch problematischer ist allerdings die Abkopplung der wertschöpfenden Wirtschaft von der Finanzindustrie.

 

Warum sprechen wir, seit der Krise wohl bemerkt, von der FinanzIndustrie? Weil das Geld selbst zur Ware geworden ist und dem Investitionskreislauf vorenthalten wird. Die technologischen Errungenschaften, die unser Leben zweifelsfrei erleichtern, eröffneten die Entwicklung einer Infrastruktur für ›innovative‹ Produkte aus der Finanzwelt, über die die Menschen, zumindest einige davon, die Kontrolle verloren haben. Dabei ist das Sparen an sich keine neue Erfindung. Bereits im Kindesalter haben wir gelernt, dass ein gut gefülltes Sparschwein zur Erfüllung eines lang gehegten Wunsches beitragen kann. Ob heute eine Spardose noch zum Inventar eines Kinderzimmers gehört, können allerdings nur Eltern beantworten.

 

Wir lernen, dass Wortbedeutungen und Inhalte sich evolutionär anpassen. Heute setzen wir ›Sparen‹ mit Verzicht gleich. Einige Stimmen bemerken ›Erstaunliches‹ bezüglich der Beteiligung zum Ausgleich der Finanzen, die im neuen Sparkurs der Bundesregierung ihren Ausdruck findet, und bescheinigen diesen Plan als unausgewogen. Selbst die Reichen unter uns haben verstanden, dass sich Geld nicht einfach so vermehrt. Die 861.000 Millionäre in Deutschland im Jahr 2009, das sind immerhin 51.000 mehr als im Vorjahr, lt. Welt-Vermögens-Bericht 2010, erstellt durch die die Beratungsfirma Cap Gemini, wissen, dass die breite Masse der Bevölkerung über immer weniger liquide Mittel verfügt. Im Jahr 2009, dem Jammer-Jahr der deutschen Wirtschaft und ihrer Verbände, das Jahr, das durch Konjunktur-Pakete, Staatshilfen und Kurzarbeit vielfach wiederbelebt wurde; in diesem Krisenjahr, das von der Bundesregierung und insbesondere von Frau Merkel als das schwerste Jahr seit Bestehen der Bundesrepublik tituliert wurde, konnte die Zahl derer, die über 1 Million Barvermögen verfügen, noch um weitere 6,4 % steigen. Paradox meinen Sie, ich auch! Niemand möchte hier jemanden sein schwer verdientes Geld missgönnen, aber der eine oder andere Gedanke an das WARUM muss an dieser Stelle gestattet sein.

 

Der Staat ist kein Unternehmen, kein Veto ist diesbezüglich angebracht, dennoch ist ›betriebswirtschaftliches Denken‹ heute selbst für jede Familie eine Überlebensstrategie und keine Hexerei. Soll und Haben einer Bilanz (lat. bilanx=Doppelwaage) weisen Fremdmittel und Eigenkapital aus. Die Balance einer Bilanz zu wahren, ist auch für Nicht-BWLer durchschaubar. Ein Haushalt ohne Ausgaben ist Utopie, aber Verschwendung erfüllt den Tatbestand fahrlässigen Betrugs an jene, die hierzulande als Steuerzahler ihren Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Wo ist der Bürokratieabbau, der eigentlich nur für Blockaden sorgt. Was ist mit den zu hoch eingewerteten Immobilien, die Nationen in den Ruin führen. Wie sieht es aus mit den Energie-Riesen, die nach wie vor ihre Milliarden in die Atomkraft stecken. Warum ist Deutschland der drittgrößte Rüstungsproduzent. Weil er an der ›Reparatur‹ im Nachhinein wieder verdient? Warum ist die Marine vor dem Libanon immer noch im Einsatz, obwohl sie nicht wirklich handlungsfähig ist?

 

Konflikte aller Art werden nur gelöst, wenn ein Vordringen zum Kern möglich ist. Defensives Verhalten ist nur dann erfolgreich, wenn die Taktik des gegnerischen Angriffs erkannt wird. Ein ›Aussitzen‹, so wie die politische Landschaft derzeit allenfalls reagiert, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Genauso wenig wie die Subventionen, die nach Ansicht vieler Experten überflüssig — im wahrsten Sinne des Wortes — sind. Die Finanzhilfen von Bund, Ländern, Gemeinden und EU sind im Jahr 2009 auf 165 Milliarden Euro gewachsen. Das ist ein Rekord! Das Kieler Institut für Weltwirtschaft resümiert: ›Viele Bürger profitieren wenig und wenige Bürger profitieren stark von den Subventionen. Nur ein Fünftel ist branchenübergreifend gewährt worden.‹ Was heißt das konkret? Im Grunde findet hier eine Wettbewerbsverzerrung statt, in deren Folge die Prinzipien einer funktionierenden Marktwirtschaft lahm gelegt werden.

 

Selbstregulierung ist ihrer Dynamik enthoben, wenn Subventionen die Märkte verzerren. Marktwirtschaft, insbesondere die soziale Marktwirtschaft, braucht Wettbewerbsregeln, die für alle gelten und keine Geschenke. Sie, die Marktwirtschaft, ist die Grundlage für Ideen und den Mut des Unternehmers etwas zu ›unternehmen‹. Mit Hilfe von Banken, die investieren und nicht auf steigende oder fallende Kurse setzen, die einfach nur Sorge tragen den ›Betrieb‹, sprich das Unternehmertum, in den Wirtschaftskreislauf zu führen. Wo immer uns das Sparen an alte Tugenden erinnert, hat dies sinnstiftende Wirkung. Sparen braucht konkrete Ziele. Erst recht, wenn über Staatsfinanzen debattiert wird. Kontroversen wirken eher kontraproduktiv. Setzen wir zudem den Mangel mit dem Sparen gleich, wird aus der Not noch lange keine Tugend, sondern ein Hemmnis. Wir entziehen dem Menschen sein Potential und rauben uns ein Stück Zukunft. Das ist gewiss. Ungewiss ist heute, ob das Spar-Paket zum Wort des Jahres avancieren kann. Das Potential hat es!