Wer braucht Rating-Agenturen?


25. Oktober 2011

 

Harriet Modler

Diejenigen, die sich Kompetenz einkaufen müssen. Diese kurze Formel gilt für alle Sphären in Politik und Wirtschaft, bis zur privaten Kurssuche! Nun sei nicht grundsätzlich der Einkauf externen Wissens verteufelt, dennoch sei darauf verwiesen, dass die hohe Dienerschaft von Staaten und Banken, die in dieser Liaison selbst Kunden sind, für Götter gehalten werden. Die absolute Wahrheit finden wir hinter den Fassaden der Agenturen von Standard & Poor’s (S&P), Moody’s und Fitch Ratings, die sich 90 Prozent des Marktes teilen: Die Anfänge von S&P reichen bis ins Jahr 1860 zurück. S&P gehört seit 1966 zum Medienunternehmen McGraw-Hill. Mit Bewertungen amerikanischer Eisenbahngesellschaften begann John Moody 1909. Das Unternehmen ist an der Börse notiert, beschäftigt ca. 4.500 Mitarbeiter in 26 Ländern und der Umsatz im Jahr 2010 lag bei zwei Milliarden Dollar. 1913 wurde Fitch Ratings gegründet. Die französische Finanzgruppe Fimalac ist heute Mehrheitseigentümer mit Zentralen in London, New York und Paris.

 

Die geballte Kompetenz der Rating-Agenturen (http://de.wikipedia.org/wiki/Ratingagentur) bringt Staaten und Banken ins Wanken. Und wer hat sie erfunden? Amerika. Da wird Goethes Zauberlehrling wach! Amerikas eigene Zöglinge, wahrscheinlich mit besten Abschlüssen von den besten Universitäten (http://www.topuniversities.com/university-rankings/world-university-rankings/2011), international anerkannte wohlbemerkt, attestierten der einst größten Volkswirtschaft mangelndes Wirtschaften. Früher waren sie vermutlich Kommilitonen, heute werden alte Fehden zu globalen Finanzkrisen — Menschen treffen sich eben immer zwei Mal im Leben. Die Tastatur ermöglicht diese Duelle der Generation Monopoly, auch ohne Augenkontakt. ›12 Uhr mittags‹ — das war gestern und Nostalgie ist fehl an den Orten, wo die neue Finanzgeschichte zu Bestsellern wird.

 

Rating-Agenturen sind aus der Bedeutungslosigkeit erwacht. Wer hat mit Beginn der neuen Zeitrechnung — also als der Mauerfall eine neue Weltwirtschaftsordnung einleitete — über Konsequenzen aus Ratings gerechnet, ja, wer hat denn überhaupt von den Rating-Agenturen gesprochen, die nun zu Berühmtheiten aufgestiegen sind, wenn auch zweifelhafte.

 

Was oder besser wer hat diese Karriere beflügelt? Schauen wir uns in Europa um: Nicht nur in Deutschland besteigen Menschen einen politischen Thron, dem sie nicht gewachsen sind. Ein Blick über die europäische Landkarte hinsichtlich ihrer Staaten und Geschichte, der Politik und Wirtschaft, genügt, um zu erkennen, dass Politik Ursache und Wirkung zugleich ist. Rhetorik und Symbolik können langfristig die Leere in den Köpfen der Politiker nicht ausgleichen. Aus einem charakterlosen Bauplan kann kein funktionierendes ›Haus‹ Europa werden, zumal eine fehlerhafte Statik die Einsturzgefahr immens beschleunigt. Die Konstrukteure stolpern durch die einzelnen ›Zimmer‹, dabei vor allen Dingen über ihre Eitelkeit, denn keiner von ihnen ist in der Lage zuzugeben, dass sowohl die Baupläne als auch die Berechnungen bereits in der Urfassung divergent waren. Es reicht eben nicht, dass das Fleisch willig, wenn der Geist schwach ist. Apropos ›Geist‹ — hat es den europäischen überhaupt gegeben? Und wenn ja, worin zeichnet er sich aus? In einer Währung vielleicht. Also die Triebfeder ›Geld‹ hat die heutigen Helden inspiriert? Die Eliten, die sich so schön ergänzen in ihrem Wahn, die beabsichtigen mit gekaufter Kompetenz zu glänzen. Die Köpfe, die immer gestalten (wollen), die hinter vorgehaltener Hand langsam und leise zugeben müssen, dass sie das (Finanz)system nicht wirklich verstehen, aber das große Ganze beherrschen (wollen). Im Verlauf der letzten Jahre hat sich das Finanzsystem von der Wirtschaft abgekoppelt, dies geschah bestechend linear zum wachsenden Wertpapierhandel mit Staatsanleihen, die als Indikatoren für die Stabilität der Märkte scheinbar bedeutender sind als Investitionen.

 

Die Diskussionen über Rating-Agenturen gehen munter durch alle wichtigen und unwichtigen Presseerzeugnisse. Darunter die FAZ, die schwingt sich zu einem Pro auf, damit das anerkannte Blatt seinen Aufgaben gerecht wird und so bezieht es standesgemäß Stellung:

 

http://www.faz.net/aktuell/finanzen/rating-verbot-politik-koennte-euro-krise-verschaerfen-11499406.html.

 

Ein Machtwort ist eben ein Machtwort. Macht geht nicht verloren, wie Energie kann sie nur umgewandelt werden. Macht wird gegeben, weil wir wählen. Wir haben immer die Wahl, ob im Supermarkt oder an der Wahlurne. Wir verschenken Macht an Rating-Agenturen, Politiker, Leistungsträger und Eliten, also jenen, die sich als besonders geeignet empfinden, und am großen Geldspiel mitwirken. Während der Politiker sich ständig nach Bühnen sehnt, bleiben die ›Personen‹ hinter den Rating-Agenturen weitestgehend gesichtslos. Im Spiel der Geldpolitik wird zwar viel Unsinn geredet, aber die Abstimmung, wer wann ›spielen‹ darf, gelingt durchaus vorzüglich. Das politische Gerede, gut auswendig gelernt, ist mit den ewig gleichen Ausreden ausgeschmückt.

Dieses dumme Gefasel hinterlässt bei mir, jeden Tag neu, einen bittersüßen Beigeschmack!

 

Literaturempfehlung: Dostojewski Der Spieler